Making of „Morph it“

Ballett verbindet sich mit digitalem Bühnenerlebnis

von Helmut Balzert

Xin Pen Wang hat mit seinem künstlerischen Team als 1. Preisträger den mit 20.000 € dotierten Prof.-Balzert-Preis für seine analog-digitale Ballettchoreographie Morph it erhalten.
Die künstlerischen, technischen und digitalen Herausforderungen dieser Choreografie werden im Folgenden kurz beschrieben.

In der Mitte der Bühne (siehe Skizze) wurde ein schwarzer Gobelin-Tüll als nahezu unsichtbarer Schleier gespannt. Mit 4 Beamern wurde auf den Tüll projiziert. Helle Bildelemente schweben dadurch im Raum, während an dunklen Stellen nur der Hintergrund sichtbar ist. Digital und Analog vereinen sich in einem
dreidimensionalen Tanz aus Licht und Bewegung. Von den Beamern war der stärkste in ca. 7 Meter Höhe von vorne steil auf den Tüll gerichtet, 2 weitere Beamer befanden sich auf Bodenhöhe und projizierten in Richtung Zuschauerraum auf die Seitenwände, um die Bühne zu erweitern. Der hausinterne Saalbeamer
bestrahlte zudem die Decke des Zuschauerraums. Die Tänzerinnen und Tänzer wurden durch die Bühnenscheinwerfer beleuchtet.

Um die Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer in Echtzeit zu verfolgen, wurde eine Technik aus dem Virtual Reality-Bereich verwendet: 5 sogenannte „Vive Tracker“ benutzten die Tänzerinnen und Tänzer an ihren Handgelenken (siehe linkes Foto unten) (Gewicht 75 g).

Mit dem Positionsverfolgungssystem „Lighthouse“ werden die Position und die Ausrichtung der „Vive Tracker“ in Echtzeit verfolgt. Lighthouses sind Infrarot Scheinwerfer (siehe rechtes Foto oben), die ein zeitliches Muster in den Raum schicken. An den „Vive Trackern“ sind Infrarot-Sensoren, die das Infrarotlicht erkennen und somit feststellen können, wo sie sich in Relation zu den Scheinwerfern befinden. Die Übertragung des Signals erfolgt kabellos durch eine 2,4-GHz-Funkverbindung.

Das folgende Foto zeigt den Versuchsaufbau im Ballett-Probensaal.

Die „Vive Tracker“ schicken die Informationen zum Computer und dort wird aus den erfassten Mustern die Position ermittelt.

Die Tänzer und Tänzerinnen können sich innerhalb des Sichtfeldes (5 x 10m) der Infrarot-Scheinwerfer frei bewegen.

5 Tänzer und Tänzerinnen können bei „Morph it“ zur gleichen Zeit verfolgt werden, aber die Armbänder wurden über das Stück weitergegeben und getauscht (siehe 2 Fotos unten).

Für die Echtzeit-Einbindung des „Tracking“, die Transformation der Bewegungen, die Steuerung der 4 Beamer, des Bühnenlichtes und des Sounds wurde die Software „Touchdesigner“ verwendet. TouchDesigner ist eine visuelle Programmiersprache für interaktive Echtzeit-Multimedia-Inhalte.

Die „Vive Tracker“ liefern 3D-Koordinaten (x,y,z-Koordinaten), die bezogen auf den Bühnenraum kalibriert sind. Dadurch können auf dem Tüll entsprechend perspektivisch beliebige 3D-Objekte platziert werden. Die Koordinaten wurden im „Touchdesigner“ zum Beispiel zu Linien transformiert, die sich über die Zeit mit
Algorithmen weiterentwickeln. Farbe, Form und Position können live beliebig verändert werden.

Das folgende Foto zeigt die Arbeit beim Programmieren.

Das Foto unten zeigt, wie die Tänzerinnen und Tänzer durch ihre Bewegungen Figuren zeichnen, die von der Software als Linien auf den Tüll projiziert werden. Anschließend werden die Figuren von der Software auf dem Tüll nach oben „geschoben“.

Mit verschiedenen Software-Programmen (3ds Max, Adobe After Effects, Tiltbrush) wurden digitale Kunstfiguren – z.T. angelehnt an griechische Statuen – vorproduziert. Diese vorproduzierten Inhalte wurden dann mit den Echtzeit-Figuren vermischt (siehe Foto unten).

Bei klassischen Ballettchoreografien, die Videos verwenden, werden diese Videos vorproduziert und die Tänzerinnen und Tänzer lernen, sich exakt synchron zu dem Video zu bewegen.

Im Gegensatz dazu ermöglicht die Echtzeit-Verfolgung der Tänzerinnen und Tänzer feingranulare und freie Bewegungen, die bei einer Ballettchoreografie mit nur vorproduzierten Videos nicht möglich sind. Das hat zur Folge, dass jede Aufführung eine individuelle „Note“ erhält. Jede Aufführung ist ein Unikat. Die Tänzerinnen und Tänzer erhalten Freiraum für eigene Inspirationen im vorgegebenen Rahmen. Dem
künstlerischen Schaffensprozess werden ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Bei rein
vorproduzierten Inhalten müssen sich die Tänzer dem vorproduzierten Inhalt „fügen“. Die Interaktion ermöglicht gerade dem Choreographen aber auch den Tänzern neue Möglichkeiten, mit digitalen Inhalten zu arbeiten.

Diese Ausführungen zeigen, dass eine analog-digitale Ballettchoreografie eine technische, digitale und künstlerische Kompetenz erfordert, die Xin Peng Wang mit seinem Team ausgezeichnet gemeistert hat.

Für die Mitarbeit an diesem Artikel danke ich Phil Jungschlaeger und Tobias Wüstefeld.

Aufnahme von Morph it bei der 36. Internationalen Ballettgala im Juni 2023: