
Der britische Tänzer und Choreograf Akram Khan mit Wurzeln in Bangladesch wurde 1974 in London geboren. Schon im Alter von sieben Jahren begann Akram mit Tanz und wuchs mit dem indischen Tanzstil Kathak auf. Kathak kommt von „Katha“, d.h. Geschichten, meist von hinduistischen Dichtern die als Vorlage für die Tänze dienten. Mit dreizehn war Akram mit der Shakespeare Company auf der Bühne in Peter Brooks‘ Produktion von Mahabharata, einem neunstündigen (!) Versepos, das sich mit der indischen Mythologie befasst. Im Alter von 26 Jahren gründete Akram Khan seine heute weltweit bekannte Akram Khan Company und erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Im Jahr 2020 wurde er Choreograf des Jahres im deutschen Sprachraum. Seine Choreografie Dust (Staub) begeisterte das Publikum in Dortmund und wird im Rahmen von New London Moves
ab dem 02. April 2023 wieder im Theater Dortmund zu sehen sein.
1. In welchem Alter und weshalb haben Sie sich für eine Ballettkarriere entschieden?
Wie alt ich war, weiß ich nicht mehr – es kam allmählich, aber ich entsinne mich daran, dass mir als mein Lehrer fragte, was ich in der Zukunft tun wollte, nichts anderes einfiel als Tänzer zu werden. Schon als Kind imitierte ich Charlie Chaplin, Michael Jackson, Bruce Lee, Muhammed Ali, ich wusste, ich wollte immer in Bewegung sein. Was „professionell“ bedeutet, wusste ich anfangs nicht, begriff es erst als ich mich mit 13 Jahren Mahabharata anschloss und mit Peter Brook arbeitete. Da war mir klar, dass dies etwas war, was ich ernst nehmen wollte. Aber ein genaues Alter für meine Entscheidung gibt es nicht.
2. Ihr Vater stammt aus Bangladesch und Sie haben den traditionellen Kathak-Tanzstil studiert. Wie hat Kathak Ihre eigenen Ballettkreationen beeinflusst?
Beeinflussung kann schon früh im Leben passieren. Die meisten Menschen erfahren eine Eingebung erst später im Leben. Beeinflussung ist, wenn Sie etwas mit den Augen/durch die Brille von etwas sehen, das auf Sie einwirkt so wie Kathak. Weil ich sehr früh in meiner Karriere mit Kathak befasst war, begann ich die Welt unter dem Eindruck von Kathak zu sehen. Kathak hat meine ganze Arbeit sehr beeinflusst. Hätte ich Kathak erst in späteren Jahren kennen, hätte es mich mehr inspiriert als beeinflusst.
3. Sie haben Ihre eigene Tanzgruppe Akram Dance Company im Alter von 26 Jahren gegründet und wurden ein sehr junger Unternehmer. War es schwierig Sponsoren und Förderer für Ihre Produktionen zu finden?
Wir haben zu zweit angefangen, Farooq Chaudhry und ich. Er war der Unternehmer und ich übernahm den kreativen Teil. Farooq kümmerte sich um Sponsoren und Förderer der Produktionen, ich denke aber als wir begannen, war es ein richtiger Knüller. Es war, als ob wir etwas gezündet hatten, das seit Jahren darauf gewartet hatte und dann plötzlich kam. Wirklich, in den ersten Jahren brauchte Farooq keine Sponsoren anzurufen. Die Leute kamen auf uns zu, um unsere Arbeit zu unterstützen. Wir waren sehr gesegnet und privilegiert zu einer Zeit, in der es für junge Künstler wenig finanzielle Förderung gab und die Theater keine großen Risiken eingehen wollten. Es war damals schwierig. Ich würde sagen, heute ist es noch schwieriger, für uns als Etablierte etwas leichter, aber schwer, weil weniger Kapital zur Verfügung steht.
4. 2021 haben Sie ein digitales Programm initiiert, die Renovatio Serie, eine Sammlung von 1-minütigen Portraits in Antwort auf die Frage, „Was Tanz Ihnen bedeutet“. Wie kamen Sie dazu?
Ich denke wegen Covid-19 und dem Lockdown. Was mich betraf, ich wollte für mich selbst wissen, warum wir eigentlich tanzen und was Tanz mir und anderen jetzt bedeutet. Wenn Dinge in solch gewaltigem Ausmaß und derartiger Tiefe geschehen wie Covid-19, dann glauben wir, dass es dafür einen Grund gibt und vielleicht wollte ich versuchen, die Ursache zu finden. Wir untersuchten alles. Es war eine Zeit der Reflektion, weil die Geschwindigkeit des Lebens zu schnell geworden war, weil alles in so schnellem Tempo passierte. Ich denke es war eine Zeit zum Nachdenken und wieder in die Spur zu kommen.
5. Das Ballett Dortmund präsentiert Ihr Ballett Dust, das Sie in 2014 – im Gedenken an den Kriegsausbruch vor einhundert Jahren – produziert hatten. Staub war, was im Wesentlichen nach dem Ersten Weltkrieg übrig blieb. Was können unsere Ballettfreunde von Dust noch lernen?
Ich denke, mein ganzes Werk – hier mit Dust im Mittelpunkt – hat einen gemeinsamen Nenner und dieser Nenner ist die Frage „wessen Geschichte erzählen wir“? Von welchem Standpunkt aus zeigen wir es? Wir reden immer über die Männer, die im Krieg waren, aber wir reden nicht über die Frauen, die zurückblieben. Es waren nicht nur die Männer die starben, es waren die Frauen, die ihre Männer, Väter, Söhne und Brüder verloren. Und so viele Frauen waren Krankenschwestern und erstmalig arbeiteten Frauen in Fabriken. Ihnen wurde gestattet zu arbeiten und so konnte man den Krieg aus einer völlig anderen Perspektive sehen als der, an die man immer zuerst denkt, nämlich Gewalt, Tod und Zerstörung – es ging auch um die Abwesenheit der Geliebten, Trauer.
6. Im April wurde Ihre letzte Premiere Jungle Book reimagined in Leicester uraufgeführt. Ausgehend von Rudyard Kipling’s Geschichte Das Dschungelbuch, befasst sich Ihre Produktion mit der Bedrohung der Natur durch die Menschheit. Wenn Sie in die Zukunft der Menschheit blicken, sind Sie dann mehr pessimistisch oder optimistisch?
Wenn ich in die Zukunft sehe, bin ich sehr pessimistisch was meinen Optimismus betrifft. Immer wenn ich optimistisch bin, ist dieser Optimismus pessimistisch, weil ich den Menschen nicht traue. Ich vertraue Tieren mehr als Menschen. Ich traue dem System nicht, in dem wir leben. Außer es würde etwas sehr Dramatisches geschehen, das destabilisiert und neu strukturiert/gestaltet. Ich dachte Covid-19 hätte das geschafft – uns zu erwecken von einem bösen Traum, aber wir sind nicht erwacht und deshalb bin ich immer ein wenig pessimistisch und ein wenig optimistisch! Ich denke eine Kombination von beiden ist wichtig. Eines allein ist illusorisch.
Das Interview führte Michael Brenscheidt.

Im Frühjahr 2022 stand auch Choreograf Douglas Lee unserem Vorsitzenden Michael Brenscheidt Rede und Antwort.
1. Wie und wann sind Sie zum Ballett gekommen?
Ich wurde als jüngster von drei Jungen 1977 in Wembley/
London geboren. Meine Brüder spielten Fußball, ich hatte
mehr musische Interessen, spielte Oboe und begann meine
5-jährige Ballettausbildung an der Arts Educational School
London im Alter von elf. Es folgte ein 3-jähriges Ballettstudium
an der Royal Ballet School in London und von dort bekam
ich ein Engagement beim Stuttgarter Ballett.
2. Können Sie ein Highlight Ihrer Karriere als Tänzer nennen?
Ich tanzte die Rolle des Armand Duval in der Kameliendame
und unmittelbar nach der Vorstellung wurde ich vom Intendanten
des Stuttgarter Ballett, Reid Anderson, zum Principal
Dancer befördert. Das war ein Höhepunkt für mich und es
war besonders schön, dass meine Großmutter, die aus Großbritannien
angereist war, das auch erleben konnte.
3. Wann und wie kam es zu Ihrer ersten Choreografie?
Eines Tages kam Reid Anderson zu mir und sagte, ein Choreograf
sei ausgefallen, ob ich in 2-3 Wochen eine neue
Choreografie kreieren könnte. Es hat funktioniert, obwohl
ich mit 22 Jahren noch ein junger Tänzer war.
4. Sie haben sehr viele Produktionen überall in der Welt
gemacht. Ist Ihnen eine Produktion in besonderer Erinnerung
geblieben?
Ja. 2020 hatten wir das erste Jahr, in dem wir wegen Corona
sehr viel improvisieren mussten. Wir durften die Tänzer
überhaupt nicht berühren und mussten Abstand halten. In
Rijeka/Kroatien war es wegen des schönen Wetters und der
entspannten Atmosphäre sehr angenehm, nachmittags in
der Adria zu baden und ich hatte das Glück, dass ich mit
zwei Paaren arbeiten konnte, die beide keinen Abstand zueinander
halten mussten und ohne Maske tanzen konnten.
5. Was können Sie uns über Ihre neue Produktion für
das Ballett Dortmund und die Musik dafür sagen?
Maquette ist der Name meiner neuen Produktion. Maquette
bedeutet Modell für eine Skulptur oder Skizze für ein Gemälde,
etwas was noch nicht ganz fertig ist. Die Musik für Maquette
wurde von Nicolas Sàvva ganz neu komponiert. Er war sehr
aufgeschlossen und flexibel und hat die Musik ständig angepasst
und überarbeitet, wenn ich bei ihm im Studio war. Es
war eine sehr entspannte und flexible Zusammenarbeit.
6. Wie verliefen die Proben in Dortmund?
Seit Beginn der Corona-Pandemie ist die Arbeit im Theater
und Ballett äußerst schwierig geworden. Natürlich gibt es
Streaming und Video Alternativen, aber ich freue mich wieder
auf eine Live-Premiere am 19. Februar 2022. In Dortmund wurden
zwölf Mitglieder der Compagnie für Maquette ausgewählt, d.h.
wegen Covid zwei Teams à sechs Tänzer*innen. Mehrmals
mussten wegen der Quarantänebestimmungen Proben abgesetzt
und verschoben werden was zu Verzögerungen führte.
Deshalb wird die Premiere auch eine Woche später erst am
19. Februar stattfinden. Aber insgesamt lief es ganz gut.
7. Was sind Ihre Pläne für Ihre nächsten Projekte?
Für das Ballett Nordhausen arbeite ich an einem Stück namens
Playdead. Die Premiere findet am 25. Februar 2022 gleich
nach Dortmund statt. Dann kommen einige Wiederaufnahmen.
Die Sonata Pathetique in Kroatien, meine Petruschka
Choreografie in Nürnberg und Puppet für das tschechische
Nationalballett. Und vielleicht komme ich Ende des Jahres
wieder mal nach Dortmund.